"Viehscheid" in Nesselwang


... findet traditionell am 16. September statt. Zwei Kranz-Rinder gehen den Herden beim Abtrieb voraus. Jeweils eins für jede der beiden Alpen - die Untere und Obere.


110 Rinder waren es in diesem Jahr. Schön ist in Nesselwang, dass die Rinder kurz vorm Scheidplatz über die Wiese an der Sommer-Rodelbahn toben, bevor es vom Scheidplatz aus in die heimischen Ställe geht. 

 

Festlich in Tracht kommen die Treiber, Helfer und der Vorstand des Rechtlerverbandes früh am Morgen zum Enzianstüble, hinter dem die Herde seit einigen Tagen grast.

Es beginnt mit einer Brotzeit, dem Anstecken der Hutbüsche, dem Anlegen der beiden Festschellen für die Kranz-Rinder - und dann geht es den Berg runter.

 

Aufgekranzt wird erst an der Zeitanzeige der Sommer-Rodelbahn. 

 

Auf geht 's!


Auf-Kranzen


Die letzte Etappe...

"Mohrle" wollte nach der letzten Steilkurve nicht weiter...

Während die Kranz-Rinder das erste Zuschauer-Foto-Shooting über sich ergehen ließen, 

... sprang die Herde über die letzte Wiese...

Einzug ins Dorf und auf den Scheidplatz:

 Meinrad Sigg, der Hirte beider Alpen.

 

 

 

 

 

 

Und das steckt hinter dem "Viehscheid":


Zwei Alpen hatte Meinrad Sigg, seit letztem Jahr Hirte in Nesselwang, zu versorgen. Circa 100 Tage war er mit 110 Stück Vieh auf der Oberen und Unteren Alpe. Die eine auf knapp 1600 Meter, die andere auf 1250. 

 

Schon vor zwei Jahren hatte mich der Nesselwanger Viehscheid begeistert, weil das Jung-Vieh dort neben der Sommer-Rodelbahn mit Gelassenheit und Ruhe ins Tal gebracht wird.

 

"Viehscheid - Backstage" - das wollte ich sehen. Zweieinhalb Wochen vor dem festlichen Abtrieb war ich zum ersten mal oben auf der Alpe. Kein Problem, die Alpspitzbahn brachte Alp-Meister Anton Steiner und mich sicher nach oben. 

 

Für mich hieß das: Aussöhnung mit dem Berg nach 43 Jahren! 

Dabei half mir sicher auch die Ruhe, Gelassenheit sowie der Humor des Alphirten und -Meisters.

 

Einen Tag später fuhr ich wieder hinauf, wollte ich doch den Hirten bei der Arbeit mit dem Vieh sehen und fotografieren, das sich am Tag zuvor nicht blicken ließ. In der Hitze hatte es sich malerisch über den Berg verteilt und in den Wald verzogen. 


 

Auf der Oberen Alpe:

Bis ich ankam, hatte Meinrad Sigg allerdings schon seinen ersten Rundgang hinter sich. Nach einem Kaffee auf der Alphütten-Terrasse marschierten wir hinauf. Und da waren sie, die 80 Jung-Rinder! Lässig kauend, entspannt liegend, aber auch neugierig. 

Ohne Kraul-Einheiten ging gar nix, wenn der Hirte sich einem Tier oder einer Gruppe näherte.

 

Viel hat er mir erzählt, mich über seine Arbeit informiert und gezeigt: Dass die Tiere lieber aus einer Tränke als aus einer aufgestellten Wasser-Anlage trinken, konnte ich dann weiter unten sehen. Der Boden um die Tränke, die täglich gesäubert werden muss, war total aufgeweicht. 


Noch was war augenscheinlich: Die "Schumpa" waren alle so sauber, als hätten sie gerade geduscht.

"Mei, wenn die sich weit verteilen können, liegt koine im eigene Dreck", erläuterte der Hirte. 

 

Heuer mussten einige Tiere im Stall vom Hirten verarztet werden, weil sich der "Igel" (Klauenentzündung) durch den von der Hitze ausgetrockneten Boden eingeschlichen hatte. Alles aber wieder in Ordnung. Schlimm war heuer auch die Fliegenplage. 

 

Und 36 Jung-Tiere konnten künstlich auf den Alpen befruchtet werden. Ob 's bei allen geklappt hat, erfährt der 63Jährige nicht immer - zumindest nicht bei den beiden letzten Tieren.

 

 

Zweimal am Tag geht der Hirte oben und unten das Vieh zählen, suchen und beobachten. Jede Änderung am Gang, Verhalten oder an der Klaue muss wahrgenommen werden. Aber der Hirte kennt seine Herde ganz genau. "Rede muas ma mit dene Viecher!" ist seine Überzeugung. An der Stimme erkennen sie ihn ganz genau.

 

Der Viehscheid-Termin musste vorbereitet werden: die gesammelten Silberdisteln lagen mit Draht versehen im alten Holzstall zum Trocknen, die Kranz-Kronen-Gestelle waren gebracht worden, um sie den beiden vom Hirten ausgesuchten Kranz-Rindern anpassen zu können.

Und mit dem Alpmeister wurde besprochen, auf welche Weiden die Tiere noch gebracht werden, welche Strecke sie nehmen müssen, wo welcher mobile Elektrozaun noch (um)gesteckt werden muss.

 

Und weil das "Bergwandern" an dem Tag so "super ganga isch", hand i mi auf de nächste Dag gfreit: Von der Mittelstation zur Unteren Alpe - 30 Minuten z'Fuaß.

 

Daher hat 's für mi gheißa: Abschied von der oberen Alpe für dieses Jahr, wo der "Schumpen-Flüsterer" noch ein paar Tage bliabe isch und auch sein Tagebuch akribisch fortgschrieba hat.

 


Untere Alpe

 

Über Wurzeln, Stiegen, Steige und Stege ging 's auf schmalen Wegen durch den Wald bergauf und bergab. Auf halbem Weg läutete des Hirten Handy. Die "Chefin", Stephanie Ranacher teilte mit, zwei Rinder seien in der Nähe im Wald gesichtet worden. 

 

Herrn Siggs Schritt beschleunigte sich, ich versuchte gar nicht erst mitzuhalten, spürte ich doch kaum noch meine Beine. Schellengeläut zeigte an, dass sich eine Kuh rechts im Wald befinden musste. Der Hirte schickte mich weiter und verschwand im Wald.

 

Nach der nächsten Weg-Biegung sah ich das zweite ausgebüchste Tier, dass den Eingang zur Alpe versperrte. Zugegeben: Ich habe einen HEIDEN-RESPEKT vor diesen großen Tieren. Also blieb ich stehen, bis die beiden anderen aus dem Wald kamen - der Hirte und der Schumpen. Dabei hörte ich links von mir Äste knacken.... noch ein Rind außerhalb der Weide? (bummbummbumm - hämmerte mein Puls)

 

Der Alp-Hirte brachte die beiden Ausreißer auf die Weide und sah sich um. Plötzlich kam Hektik auf: Der ruhige Hirte raste los und kam mit einer Säge wieder. Außerhalb des Zaunes hatte sich ein Tier mutig (oder dumm?) auf einem 30 bis 40 Zentimeter breiten Weg direkt neben dem steilen Abhang auf den Weg gemacht. Daher das Knacken vorher. Weil der Grat aber zu schmal war, konnte das Tier nicht wenden, und rückwärts ging es nicht durch 's Geäst. Also sägte Meinrad Sigg kurzerhand ein paar Büsche ab, zog sie raus - und das Tier konnte sich umdrehen und kam zurück zum Weiden-Eingang.

 

(Vielleicht hatte es sich auch für eine Gemse gehalten?)

 

"Des hätt jetzt no g'fehlt, so kurz vor dem Viehscheid....", schnaufte der Alp-Hirte und reparierte den Stacheldrahtzaun unter neugierigen Blicken angetrabter Jung-Rinder.


Also: Weiter Luft anhalten, dass alle "Viecher" bis übernächste Woche g'sund bleiben.

 

 

Wie mich der Hirte nach seiner Führung auf der Unteren Alpe sicher ganz hinunter gelotst hat, erspare ich jetzt allen. Jedenfalls brauchte mein Körper ein paar Tage, um sich wieder einigermaßen bewegen zu lassen.....

 

 

Auf halbem Weg

 

Genau eine Woche vor dem Viehscheid fuhr ich wieder hinauf - bis zur Mittelstation. Bis zum "Enzianstüble" hatten sich die Tiere von der Oberen Alpe mittlerweile herunter gegrast. Bevor der Tierarzt kam, mussten heute zwei Rinder separiert werden, weil sie doch noch besamt werden sollten. 

 

Das erste ging zwar widerwillig in den Stall, das zweite machte aber sehr lange sehr deutlich, dass es keine Lust auf Stall hatte. 

(Grins:  einfach die Augen kurz vorm Stall zu und die Hirtenstäbe überrennen...)

 

Und die Pächterin des Enzianstübles, Stephanie Ranacher, die deshalb auch die Chefin des Hirten ist, wurde mit "ihrem" Kranz-Tier bekannt gemacht. Ein paar Runden am Strick führen und das Gewöhnen ans Halfter für den großen Tag nächste Woche war angesagt.

 

Dazu muss man nix schreiben, die Bilder sagen alles - denke ich:

 

Ah doch: Das Ganze wurde von ohrenbetäubendem Muh-Konzert mit rhythmischem Schellengeläut begleitet.


Kranz-Rind 1: Halftern, Führen...

... und jetzt d' "Chefin"

Die Zuschauer...


Widerstand

Ach ja: Katze, Ziegenmama und drei Tage alte Zicklein:


der Countdown

Tag 2 vor dem "Viehscheid":

Die Wohnung der "Chefin" verwandelt sich in eine Gärtner-Werkstatt.

 

Hildegard Poppler, Bärbel Sigg und ihre Tochter Regina bringen Eimer weise Pflanzen ins "Enzianstüble": Erika, Astern, Holunder, Nadel- und Buxbaum-Zweige und natürlich den Enzian. Nicht zu vergessen: Die getrockneten Silberdisteln.

 

Das Design der Kranz-Kronen hat sich Hildegard Poppler, Schwester des Hirten, schon seit langem überlegt.

 

Zu dritt wird bis in die Nacht an den Kronen gearbeitet:

Eine/r hält das alte schwere Eisengestell, auf das die Pflanzen mit Metern von Draht gebunden werden. Da muss schon mal der Hirte mit anpacken, sonst droht Arm-Lahmheit.



 

das Umschellen

 

Tag 1 vor dem Viehscheid:

Am Nachmittag werden den Rindern die kleinen Schellen, mit denen sie den Sommer auf den Alpen verbracht haben, abgenommen und die großen Fest-Schellen umgebunden.

 

Dazu braucht 's für 110 Rinder viele Helfer. Traditionell helfen die Treiber, sozusagen die "Allgäuer Cowboys" - sogar Alp-Meister Anton Steiner packt mit an: